Fräulein Helens Zauberwelt
Jacqui L’ange
Wendy Morison

Treffen Sie meine Freundin Helen. Sie wurde in einer kleinen Stadt in der Karoo namens Nieu Bethesda geboren. In dieser kleinen Stadt war nicht viel los, aber hier erfand sie eine ganze Welt. Sie erfand sogar mich und nannte ihr Haus nach mir. Es hieß "Das Haus der Eulen."

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Fast alle von neun Geschwistern waren schon erwachsen und weggezogen, als Helen geboren wurde, aber es blieben ihr zum Glück noch ihre Schwestern Annie und Alida. Helen hatte nicht viele Freunde im Dorf, aber es störte sie nicht. Von Anfang an tat Helen Dinge anders, als die meisten anderen Menschen es taten.

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Nachdem auch ihre Schwestern wegzogen, blieb Helen alleine mit ihre Eltern. Sie liebte ihre Mutter sehr, aber hasste ihren Vater. Jeder stimmte dem zu, dass er ein eigenartiger Mann sei. Helens ältere Schwester, Alida, reiste durch die ganze Welt. Eines Tages schickte sie Helen eine Postkarte aus Ägypten. Sie stellte sich Prinzen und Pyramiden und Kamele auf dem Sand vor.

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Als Helen älter wurde, las sie mehr und mehr Geschichten von fernne Ländern. Ihr gefiehlen vor allem die Gedichte von Persien im Nahen Osten. Sie träumte davon, dass sie eines Tages das Meer sehen würde. Sie hatte eine Seemuschel auf ihrem Nachttisch, und stellte sich vor, dass sie das Geräusch der Wellen darin hören könnte. Aber Eulen blieben natürlich ihr Lieblingsding!

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Helen liebte Bücher und Geschichten so sehr, dass sie sich dazu entschied, Lehrerin zu werden. Das machte sie auch sehr gut. Doch dann traf sie Johannes Pienaar, der auch Lehrer, und dazu Schriftsteller und Schauspieler war. Er überzeugte sie, mit ihm durchzubrennen.

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Helen und Johannes heirateten. Sie reisten in viele verschiedene Städten, wo sie unterrichteten und Theaterstücke aufführten. Helen dachte, sie könnte wie ihre Schwestern eine Familie anfangen, aber es sollte nicht sein. Ihr Ehemann und sie stritten sich ständig. Als ihre Mutter krank wurde, beschloss sie, wieder nach Hause zurückzukehren.

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Helen war sehr unglücklich. Ihre Mutter war schwer krank und ihr Vater sehr reizbar. Sie blieb viel allein, und viele Leute meinten, sie sei sehr sonderbar. In der Nacht, in der ihre Mutter starb, hielt Helen die ganze Nacht mit brennender Kerze neben ihrem Bett Wache. Wegen des Lichts, hatte Helen weniger Angst vor der Dunkelheit. Wir Eulen waren natürlich auch da. Wir passten auf Helen auf und riefen "WOOWOOH!"

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Helen wollte gern mehr Helligkeit in ihrem Leben haben. Sie fing an, ihre Umgebung zu verändern. Sie brauchte Helfer. Drei Männer in ihrem Dorf: Jonas Adams, Piet van der Merwe und Koos Malgas, stellten Dinge aus Draht und Zement her, die sie sich vorstellte. Sie füllte ihren Garten mit allerlei interessanten Kreaturen, wie Sphinxen und Kamele, Meerjungfrauen und Katzen und viele, viele Eulen! Sie nannte es ihren Kamelhof und brachte ein Schild an, auf dem stand: "Dies ist meine Welt."

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Tagsüber machte Helen Skulpturen. Nachts übte sie, Licht einzufangen. Sie sammelte Glasflaschen und Spiegel, Kerzen und Lampen - alles, was leuchten würde. Sie stellte Laternen in jedes Zimmer. Spiegel fingen und widerspiegelten das Licht. Sie bedeckte die Wände mit glitzerndem Glas, so dass die auch leuchten würden. Als ihr Vater starb, hatte sie das Haus für sich. Jede Nacht schlief sie in einem anderen Raum. Sie wählte stets die, die den besten Blick auf den Mond und die Sterne hatten.

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Die Menchen aus Nieu Bethesda bewunderten beim Vorübergehen die wunderschönen Kreaturen in Helens Garten. Einige der Dorfkinder brachten Helen Glasflaschen für ihre Skulpturen und nannten sie "Fräulein Helen." Sie bedankte sich mit Süßigkeiten bei ihnen. Andere waren nicht immer so freundlich. Sie beschimpften Helen und warfen ihr Steine auf das Dach. Fräulein Helen gab alles Geld an Glas und Zement aus. Sie lebte von Brot und schwarzem Tee. In ihrem Tagebuch schrieb sie: "In meiner Einsamkeit bin ich glücklich."

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Der Garten wuchs und wuchs, bis es kaum noch Platz für mehr Skulpturen gab. Fräulein Helen war jetzt müde, ihre Hände steif und wund. Ihre Augen wurden von der Arbeit mit den winzigen Glasscheiben blind. Sie hatte keine Angst vor dem Alleinsein, aber immer noch Angst vor der Dunkelheit. Ihre Welt wurde zunehmend dunkler und sie wusste, dass sie bald nichts mehr sehen können würde.

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Doch als sie zum letzten Mal ihren Augen schloss, sah Fräulein Helen keine Dunkelheit. Sie sah die Sonne und den Mond und die Sterne. Sie sah weise Männer und Meerjungfrauen, Kamele und Katzen, Akrobaten und Eulen mit großen braunen, glitzernden Glasaugen. Bis heute noch stehen wir hier im Garten und blicken zum Osten, genau so, wie sie uns hinterließ.

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Fräulein Helens Zauberwelt
Author - Jacqui L’ange
Translation - Inka Küsel
Illustration - Wendy Morison
Language - German
Level - Longer paragraphs